Buch

Leseprobe
"Hieronymus im Gehäuse. Der Dichter, sein Haus und sein Radio"


Vor allem für Gedichte begann ich mich zu interessieren.
Einige sprachen mich direkt an.
Immer öfter las ich sie mir laut vor, um ihren Klang und ihre Atmosphäre zu spüren.
Mit der Zeit gelang es mir, in tiefere Schichten  vorzudringen.
Verstand ich etwas nicht, fragte ich meinen Antiquar.
Da ich es nicht gewohnt war, mich intensiv auf einen Text einzulassen, brauchte ich lange, um das erforderliche Höchstmaß an Aufmerksamkeit zu entwickeln.
Ich entdeckte, dass ein Gedicht sich dem schnellen Verstehen verweigert; dass es je nach Stimmung viele Lesarten ermöglicht und vom Leser die Fähigkeit verlangt, seine Empfindungen und Wahrnehmungen in einem neuen Licht zu sehen.
Gleichzeitig regte es meine Phantasietätigkeit an und bewirkte eine Art Herzenswandlung.

Seither liebe ich es, immer neue Entdeckungen zu machen. Es ist eine neue Art zu sehen und zu empfinden.
Beim Hinausgehen am Morgen, beim Tagbegrüßen, komme ich mir oft vor wie ein Kind, das voller Wundererwartung ist.
Ich versuche, meine Sinne von der  Routine des Bescheidwissens zu befreien.
Auf diese Weise baue ich mir Widerstandsnester gegen meine bisherige Wahrnehmung der Dinge und finde zahlreiche Anlässe zum Innehalten und Nachdenken.

Ja – und irgendwann hat es mich gereizt, selber etwas zu schreiben.
Nur für mich.

Ich hab‘ kein Fernsehen, aber ein Radio.
Das ist meine Verbindung zur Welt.
Es ist eine Philetta de Luxe, ein altes Transistor-Radio.
Es ist mit mir in die Jahre gekommen, aber es tut immer noch seine Dienste.
Vor einigen Jahren musste ich es reparieren lassen.
Gott sei dank gab es noch Ersatzteile, vielleicht wegen der vielen Sammler oder Liebhaber.
Das Radio stammte von einer Tante.
Ein Geschenk zur Konfirmation.

Es hat die Form eines Kommissbrotes.


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